Wenn der Begriff „Grundübungen“ auftaucht, ist klassischerweise die Rede von Kniebeugen, Kreuzheben und Bankdrücken mit Langhantel – so auch die Disziplinen beim Kraftdreikampf/Powerlifting. Ab und zu werden auch Schulterdrücken, Klimmzüge und mit etwas Glück Ruder-Übungen dazugezählt.
Mit Grundübungen sind definitionsgemäß Übungen gemeint, die mehrgelenkig sind und in denen eine Vielzahl an Muskeln gleichzeitig koordiniert werden müssen. Diese sollten aus verschiedenen wichtigen Gründen die Basis Deines Trainings bilden und in keinem Trainingsplan fehlen – ganz gleich wie Deine Zielsetzung ist.
So weit, so gut. Bei der Definition stimmen wir zu.
Warum aber diese Übungsauswahl viel zu kurzsichtig ist und Du Dir dadurch nicht den Körper erschaffen kannst, für den Du so viel Zeit und Aufwand investierst, erfährst Du in diesem Artikel.
Das Problem der klassischen Grundübungen liegt darin, dass nicht alle Übungen für jeden Menschen gleich gut geeignet sind.
Ein Beispiel: Wenn die erste Kniebeuge-Variation, die Du in Dein Training baust, nicht auf Aspekte wie Dein Skill-Level, individuelle Anatomie, Deine Verletzungsgeschichte, Dein Ziel und auf viele weitere Faktoren abgestimmt ist, hast Du schneller mit Beschwerden zu kämpfen, als Dir lieb ist und Deine Fortschritte werden ausbleiben.
„Never load dysfunction.“
Deine Technik sollte immer perfekt sein. Wenn Du auf eine “falsche” Bewegung noch Gewicht drauf packst, davon mehrere Sätze und Wiederholungen machst und das über Wochen und Monate, … Wir brauchen Dir nicht zu sagen, dass das nicht gut enden kann.
Wie lösen wir das Problem?
Lass uns die Sache einmal andersherum angehen und keine reinen Übungen betrachten, sondern grundlegende Bewegungsmuster. Wenn Du Dir natürliche Bewegungen des Menschen im Alltag ansiehst, entdeckst Du 8 wesentliche Bewegungsmuster:
- Squat
- Hip Hinge
- Lunge
- Carry
- Overhead Pull
- Overhead Push
- Horizontale Pull
- Horizontale Push
Jeder Mensch ist dafür geschaffen, diese 8 Bewegungsmuster zu entwickeln, zu beherrschen und mit Gewicht beladen zu können. Wenn Du eine dieser Bewegungen in Deinem Training missachtest, riskierst Du nicht nur Deine Fortschritte, sondern langfristig auch Deine Gesundheit, muskuläre Dysbalancen und dadurch mögliche Schmerzen.
Diese Muster zu entwickeln und auf verschiedenste Weisen im Training einzusetzen, ist der schnellste und effektivste Weg, Kraft zu entwickeln, Muskeln aufzubauen und Verletzungen zu vermeiden.
In Teil 1 dieses Artikel gehen wir auf die ersten vier Bewegungsmuster ein.
1. Der Squat
Mit „Squat“ sind grob alle beidbeinigen Übungen gemeint, bei denen Du in die Hocke gehst.
Das meint alle Kniebeuge-Varianten. Wahrscheinlich hast Du als erstes die Kniebeuge mit Langhantel auf den Schultern – eine der klassischen Grundübungen – im Kopf. Der sogenannte “Back-Squat” ist eine sehr gute Möglichkeit, wenn auch eine der fortgeschrittensten Squat-Varianten. Für die meisten ist das nicht unbedingt der Optimalfall, da sie technisch sehr anspruchsvoll und bei unzureichender Technik sehr verletzungsanfällig ist.
Fange mit Kniebeugen komplett ohne Zusatzgewicht an. Erst, wenn Du diese optimal beherrscht und ohne Probleme mindestens 20 – 30 Wiederholungen machen kannst, solltest Du Gewicht dazu nehmen.
Die nächste Stufe wäre Kniebeugen mit einem Gewicht, z.B einer Kurzhantel oder Kettlebell, welche Du in beiden Händen vor Dir zwischen den Beinen hälst. Du könntest auch die Hantel wie einen Kelch vor Deiner Brust halten, wie Du in diesem Video sehen kannst.
Für den nächsten Schritt ist eine Frontkniebeuge eine gute Idee. Hierbei hältst Du eine Langhantel vor Deinem Körper auf den Schultern bzw. Deinen Schlüsselbeinen.
Erst, wenn Du all diese Variationen beherrscht, ist die Kniebeuge mit Langhantel auf dem Rücken eine gute Idee.
Arbeite Dich langsam vor und meistere alle Übungen.
2. Der Hip Hinge
Für viele eine der schwierigsten Bewegungen überhaupt. Gemeint sind Bewegungen, die nur in den Hüften stattfinden. Stell es Dir wie eine Scharnierbewegung (Hinge bedeutet Scharnier) zwischen Oberkörper und Beinen vor.
Oft ist es einfacher, Bewegung mit dem unteren Rücken oder mit den Knien zu erzeugen, als isoliert die Hüften zu bewegen.
Probier Mal, am besten seitlich vor einem Spiegel, Dich vornüber zu beugen, dabei die Knie nur minimal zu beugen und Deine Wirbelsäule komplett gerade zu lassen. Dein unterer Rücken sollte stabil sein und sich nicht bewegen. Wenn Du es richtig machst, solltest du ein Dehngefühl in deiner hinteren Oberschenkelmuskulatur spüren.
Zu den klassischen Grundübungen gehört das Kreuzheben mit Langhantel. Wie bei der Kniebeuge ist die Variante mit Langhantel aber die fortgeschrittenste Variante und nicht umsonst eine der verletzungsanfälligsten Übungen im Bereich des Kraftsports.
Ein guter Einstieg in diese Art von Übungen funktioniert mit einer Kettlebell in beiden Händen, die Du vom Boden aufhebst. Wenn Du das gemeistert hast, wäre das Kreuzheben mit einer Langhantel, die erhöht liegt, eine gute Wahl. Von der Erhöhung kannst Du Dich stetig abwärts arbeiten, bis Du die Langhantel sauber vom Boden heben kannst.
Erst danach empfehlen wir den Einstieg ins sogenannte Rumänische Kreuzheben, bei dem die Hinge-Bewegung mit nahezu gestreckten Knien passiert. Das ganze ist auch einbeinig möglich, eine gute Wahl für alle die neben Kraft auch ihre Athletik trainieren wollen.
3. Der Lunge
Lunge ist das englische Wort für Ausfallschritt. Gemeint sind Bewegungen, bei denen jedes Bein unabhängig voneinander Kraft entwickeln und Dein Rumpf diese Kraft übertragen können muss. Diese sind aus keiner Sportart und keinem Kraft- und Muskelaufbau Programm wegzudenken.
Ausfallschritte kannst Du in alle Richtungen machen, nach vorne, nach hinten, laufend, seitlich, diagonal etc. Wichtig dabei ist, dass Du dabei so wenig Schwung des hinteren Beins wie möglich nutzt. Dein vorderes Bein sollte bei allen Übungsvarianten die Hauptarbeit leisten.
Gerade bei nach vorne laufenden Ausfallschritten musst du unbedingt darauf achten, Dich nicht zu viel mit dem hinteren Bein abzustoßen.
Fang mit deinem eigenen Körpergewicht an, steigere das Gewicht mit Kurzhanteln die du an der Seite hältstund meistere als letzte und schwierigste Stufe Variationen mit der Langhantel.
Bei allen Kniebeuge-, Kreuzhebe- und Lunge-Variationen solltest Du die wichtigsten Regeln für Dein Beintraining immer im Hinterkopf behalten, um starke, schnelle und ästhetische Beine zu bekommen und Verletzungen zu vermeiden.
4. Der Carry
Kurzhanteln, einseitig, beidseitig, Überkopf mit Kurzhantel oder Kettlebell, wie im Video zu sehen, umgedrehte Kettlebells, Langhantel Überkopf. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, Gewichte von A nach B zu tragen. Tragen eignet sich hervorragend, um Rumpf- und Schulterstabilität und auch die Griffkraft zu trainieren.
Du kannst Gewichte für eine festgelegte Strecke tragen, z.B. 10 – 100 m oder auch für eine bestimmte Zeit, in der Du das Gewicht nicht ablegst und einfach weiterläufst, z.B. 15 – 60 Sek.
Für Rumpf- und gerade für Schulterstabilität empfehlen wir Dir Überkopf-Carry-Varianten.
Generell für Kraft- oder auch als Intervalltraining eignen sich eher Variationen, bei denen Du Gewichte neben dem Körper trägst. Für einen knallharten Rumpf benutze Carry-Variationen, bei denen Du nur in einer Hand ein Gewicht hältst. Deine Körpermitte muss dabei extra hart arbeiten, um Dich gerade und aufrecht zu halten.
Minimaler Aufwand – Maximale Ergebnisse
Wenn Du beabsichtigst, Dein Leben lang verletzungsfrei zu trainieren, Dich weiterzuentwickeln und Fortschritte zu machen, dann versteife Dich nicht auf spezifische Grundübungen.
Trainiere stattdessen die für Dich am besten passenden Variationen dieser Bewegungsmuster. Bleibe flexibel und sei immer offen, Dinge speziell auf Dich selbst anzupassen.
„Don’t get married to any single exercise.“
Die Idee, dass bestimmte Grundübungen unbedingt im Trainingsplan stehen müssen, muss zugrunde gehen. Nur weil eine Studie behauptet, dass klassisches Flachbankdrücken mit Langhantel die beste Übung für die Brustmuskeln wäre und der breiteste Typ in Deinem Studio auch darauf schwört, heißt das nicht, dass Du Dein ungutes Gefühl oder Deinen beginnenden Schulterschmerz dabei unbeachtet lassen solltest.
Schmerz behindert immer Deine Trainingserfolge. Ein Flachbankdrücken mit Kurzhanteln, welches Du schmerzfrei durchführen kannst und welches sich gut anfühlt, wird garantiert zu besseren Ergebnissen führen, als ein schmerzhaftes Training mit Langhantel.
Achte auf das, was Dein Körper Dir sagt. Versuche die Hinweise zu erkennen – auch wenn sie noch so klein sind – und lerne zu verstehen, was er Dir mitzuteilen versucht.
Ungeachtet der Datenlage und des Erfahrungswissens eines anderen. Denn letztendlich kann niemand anderes Dir sagen, was für Dich am besten ist.
Das heißt nicht, dass du Rat oder Hilfe ablehnen solltest. Im Gegenteil. Nimm jeden Rat an, hole Dir Hilfe und sei immer offen dafür, Neues zu lernen. Aber baue Dir Deinen eigenen Erfahrungsschatz auf, der individuell für Dich gilt. Werde mit der Zeit Dein eigener Trainer und übernimm Verantwortung für Deinen Körper, Deine Gesundheit und Deine Fortschritte.
Wenn Du das schaffst, wirst Du Verletzungen vermeiden, schon bestehende Schmerzen und Probleme loswerden und vor allem Deine Ziele schneller erreichen.
In Teil zwei der Grundlegenden Übungen geben wir Dir alles mit, was Du brauchst, um die nächsten vier Bewegungen zu meistern.